31.05.2023

CEDAW fordert umfangreiche Reformen von der Bundesregierung

UN-CEDAW-Ausschuss veröffentlicht seine Abschließenden Bemerkungen für Deutschland

Nach der Staatenanhörung der Bundesregierung vor dem CEDAW-Ausschuss in Genf sind die Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses an die deutsche Bundesregierung veröffentlicht worden. Sie verdeutlichen, wo besonderer Handlungsbedarf besteht, um Gleichstellung und Frauenrechte in Deutschland voranzutreiben. Damit ist nun die Bundesregierung erneut gefragt, die Empfehlungen des Ausschusses schnellstmöglich umzusetzen.

Empfehlungen der UN bestärken Forderungen der CEDAW-Allianz

In den Abschließenden Bemerkungen behandelt der Ausschuss den Stand der Umsetzung der Frauenrechtskonvention in allen Lebensbereichen. Einige Initiativen der Bundesregierung werden positiv bewertet, etwa die Gründung der Bundesstiftung Gleichstellung, das Gesetz gegen Konversionstherapien oder die Strategien für feministische Außen- und Entwicklungspolitik. Trotzdem kritisiert der Ausschuss an vielen Stellen das Tempo der Umsetzung und ein fehlendes Bewusstsein für die Frauenrechtskonvention und das Fakultativprotokoll in der deutschen Rechtsprechung.

Zahlreiche Empfehlungen des Ausschusses decken sich mit den Forderungen der CEDAW-Allianz, bspw. werden Quoten und weitere zeitweilige Sondermaßnahmen empfohlen, um Parität auf allen Ebenen zu fördern.

Institutionelle Mechanismen

Um CEDAW in den staatlichen Institutionen, im Gesetzgebungsverfahren und den föderalen Strukturen zu verankern, fordert der Ausschuss außerdem, ein verpflichtendes Gender Budgeting für den gesamten Bundeshaushalt einzuführen. Zudem soll die Umsetzung der Gleichstellungsstrategie von 2020 konsequenter überprüft und die Umsetzung von Beschlüssen der Gleichstellungsminister*innenkonferenz der Länder durch den Bund sichergestellt werden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte soll als offizielle Monitoring-Stelle zur Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention eingesetzt werden.

Arbeitswelt Beruf und Familie

Der Ausschuss zeigt sich besorgt über den weiterhin großen Gender Pay Gap von 18%. Um diese Lücke zu schließen, soll nicht nur das Entgelttransparenzgesetz durchgesetzt, sondern auch Quoten für Frauen* in Führungspositionen eingeführt werden. Der Ausschuss empfiehlt, ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften und Frauenorganisationen einzuführen, um angemessene Löhne sicherzustellen und Diskriminierung zu bekämpfen – eine Empfehlung, die sich mit den Forderungen der CEDAW-Allianz deckt.

Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Steuerpolitik: Das Ehegattensplitting begünstigt große Einkommenschiede zwischen den Eheleuten, verfestigt das Ein-Ernährermodell und stellt eine Hürde bei der Aufnahme oder Erhöhung der Erwerbstätigkeit dar. Daher empfiehlt der CEDAW-Ausschuss eine Reform, die CEDAW-Allianz eine Abschaffung dieses Systems.

Nicht nur ungerechte Besteuerung, auch fehlende Kinderbetreuungs- und Pflegeplätze hindern Frauen* daran, im gleichen Umfang wie Männer* berufstätig zu sein. Daher soll laut Ausschuss eine verlässliche Ganztagsbetreuung sichergestellt werden. Die CEDAW-Allianz weist zudem darauf hin, dass auch professionelle Pflegeplätze und wohnortnahe Entlastungsangebote (etwa für alternde oder erkrankte Angehörige) nötig sind, um den Gender Care Gap zu schließen.

Um Altersarmut von Frauen* zu bekämpfen, fordert der Ausschuss eine Stärkung der gesetzlichen Rente. Zusätzlich soll sichergestellt werden, dass Leistungen der Altersvorsorge nicht auf die Leistungen zur Grundsicherung angerechnet werden können. Was auch der CEDAW-Allianz ein Anliegen ist. Es soll zudem sichergestellt werden, dass alle in der DDR geschiedenen Frauen, deren Rentenansprüche im Zuge der Wiedervereinigung radikal gekürzt wurden, Zugang zum Härtefallfond der Bundesregierung erhalten.

Gewalt gegen Mädchen* und Frauen*

Um Frauen, Kinder und queere Personen vor Gewalt zu schützen, fordert der UN-Ausschuss, die besonderen Bedarfe marginalisierter und mehrfachdiskriminierter Frauen im Hilfesystem gegen Gewalt besser zu berücksichtigen, und das Aufenthaltsgesetz so anzupassen, dass auch geflüchtete und migrierte Frauen* und Mädchen* Zugang zu allen Schutz- und Unterstützungsangeboten haben. Außerdem seien deutlich mehr Frauenhausplätze notwendig, um den Bedarf zu decken. Derzeit fehlen rund 14.200 Plätze. Um sowohl den Zugang für alle Frauen* zu, als auch die Finanzierung von Frauenhäusern sicherzustellen, empfiehlt die CEDAW-Allianz eine bundeseinheitliche Regelung auf gesetzlicher Grundlage.

Auch Menschenhandel beschäftigt den Ausschuss. Hier empfiehlt er die Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle und Etablierung nationaler Richtlinien zur Identifikation von Betroffenen, Weiterbildungen für Justiz und Polizei, und ein Aufenthaltsrecht für alle Betroffenen, unabhängig von ihrer Rolle vor Gericht. Bisher erhalten Betroffene aus Nicht-EU-Staaten nämlich nur dann einen Aufenthaltstitel, wenn sie im Gerichtsprozess gegen Menschenhändler*innen eine wichtige Rolle spielen.

Um weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung (FGM/C) zu verhindern und Betroffene zu unterstützen, sollen Fachkräfte im Sozial- und Gesundheitsbereich zum Thema weitergebildet und systematisch Informationen über Unterstützungsstrukturen an Betroffene weitergegeben werden. In Deutschland leben laut einer Studie von 2017 etwa 50.000 von FGM/C betroffene Frauen*, schätzungsweise 1.500 – 2.700 Mädchen* sind davon bedroht.

Gesundheit

Im Bereich Gesundheit beschäftigt sich der CEDAW-Ausschuss vor allem mit reproduktiven Rechten: Schwangerschaftsabbrüche sollen entkriminalisiert, die verpflichtende Beratung und 3-tägige Wartefrist abgeschafft werden. Auch wird die Bundesregierung aufgefordert, den Zugang zu sicheren Abbrüchen flächendeckend zu gewährleisten. Dazu gehört auch, die Verfügbarkeit notwendiger Medikamente (Misoprostol) sicherzustellen und medizinisches Personal entsprechend auszubilden. Alle Frauen* sollen Zugang zu Verhütungsmitteln haben, wenn nötig von den Krankenkassen gegenfinanziert. Gewalt in der Geburtshilfe soll im Strafrecht kriminalisiert werden.

Die umfassenden Forderungen der CEDAW-Allianz zu einer geschlechtersensiblen Gesundheitsforschung finden sich leider nicht in den Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses wieder.

Internationale Frauenmenschenrechte

Der CEDAW-Ausschuss fordert die Bundesregierung auf, ihren extraterritorialen Verpflichtungen nachzukommen: Das Lieferkettengesetz soll angepasst werden, um eine verbindliche und geschlechtergerechte Anwendung in der gesamten Wertschöpfungskette zu gewährleisten. Zudem wird Deutschland erneut dazu aufgerufen, die Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (kurz: UN-Wanderarbeiterkonvention) zu ratifizieren. Außerdem empfiehlt der Ausschuss Gender Impact Assessments für alle neu verhandelten Freihandelsabkommen und die Entwicklung eines geschlechtergerechten und intersektionalen Ansatzes für die Verfolgung sexualisierte Kriegsgewalt im Völkerstrafgesetzbuch.

Waffenexporte (auch Kleinwaffen) sollen nur unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt genehmigt werden. Hier geht die CEDAW-Allianz weiter als der Ausschuss und fordert eine Beendigung von Rüstungsexporten sowie eine umfassende Abrüstungspolitik. Nur so kann die neue feministische Außenpolitik durch eine explizite Friedenspolitik und geschlechtersensible zivile Kriseninterventionen umgesetzt werden.

Im Bereich Klima empfiehlt der Ausschuss die Beschleunigung der Reduzierung von Treibhausgasemissionen und der Nutzung fossiler Brennstoffe sowie eine stärkere Beteiligung von Frauen* und Mädchen an der Entscheidungsfindung. Auch die CEDAW-Allianz fordert mehr Unterstützung von Frauen-, Menschenrechts- und feministischen Organisationen und verbesserten Zugang von Frauen* und anderen marginalisierten Gruppen zu Klimaschutz und Adaptionsfinanzierung (Enhanced Direct Access).

Intersektionalität

Der Ausschuss fordern die Bundesregierung zudem auf, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit Klagerechten und einer besseren (finanziellen) Versorgung auszustatten. Außerdem zeigt er sich besorgt über den zunehmenden Rassismus gegen Migrant*innen und Rom*nja, das sehr hohe Armutsrisiko von alleinerziehenden Frauen*, die Situation von auf dem Land lebenden und arbeitenden Frauen* und das hohe Gewaltrisiko von in stationären Einrichtungen lebenden Frauen.

Das geplante Selbstbestimmungsgesetz, das die Rechte von trans, inter und nicht-binären Personen stärken soll, scheint auf geteilte Meinung zu stoßen. Der Ausschuss empfiehlt, in der Evaluation des Gesetzes auch die Auswirkungen auf „Frauen und Mädchen“ in Deutschland zu berücksichtigen. Diese uneinige Sichtweise auf das Selbstbestimmungsgesetz des Ausschusses untermauert Beobachtungen der letzten Jahre: Anti-feministische Bewegungen vernetzen sich zunehmend international und gewinnen auch in den verschiedenen UN-Organen an Einfluss.

Der CEDAW-Ausschuss im Staatenberichtsverfahren

Der CEDAW-Ausschuss (Committee on the Elimination of Discrimination against Women) ist ein Expert*innen-Gremium der Vereinten Nationen, das die Einhaltung der UN-Frauenrechtskonvention in den Vertragsstaaten überwacht.

Die Empfehlungen des Ausschusses stellen das Ende des neunten Staatenberichtverfahrens für Deutschland dar. Der Gleichstellungsfortschritt, und damit auch die Umsetzung der Empfehlungen, wird in der nächsten Verfahrensrunde betrachtet. Das Staatenberichtsverfahren dient als Kontrollmechanismus zur Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention in den Vertragsstaaten. Diese sind verpflichtet, regelmäßig Berichte vor dem CEDAW-Ausschuss vorzulegen, die über die nationale Umsetzung des Übereinkommens und die dazu getroffenen Maßnahmen berichten. Mehr Details zum Verfahren in diesem Beitrag.

Die vollständige Liste der Empfehlungen des UN-Ausschusses ist hier einsehbar: Abschließende Bemerkungen (EN)

Unsere Forderungen sind im Alternativbericht gesammelt: Alternativbericht 2023 (DE) & Alternativbericht 2023 (EN)