14.07.2023

Gewalt gegen Frauen* – Bundeskriminalamt veröffentlicht Lagebild für 2022

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat die jährliche Statistik zu häuslicher Gewalt für das Jahr 2022 veröffentlicht. Die neuen Zahlen zeigen: Partnerschaftsgewalt ist erneut gestiegen; weiterhin ist die überwiegende Mehrheit der Betroffenen weiblich*.

Neue Daten, alte Befunde

Im Vergleich zu früheren Jahren hat das BKA ausführlichere Zahlen bereitgestellt: Erstmalig wird nicht nur die Partnerschaftsgewalt erfasst, sondern auch innerfamiliäre Gewalt gegen andere Familienangehörige wie Kinder, Eltern oder Geschwister. Die Kategorie häusliche Gewalt fasst Partnerschaftsgewalt und innerfamiliäre Gewalt zusammen. Seit 2015 veröffentlicht das BKA jährlich Daten zu Gewalt in Partnerschaften, die sogenannte Kriminalstatistische Auswertung Partnerschaftsgewalt. Seitdem ist die der Polizei angezeigte Gewalt in Partnerschaften gestiegen, im Vergleich zu 2021 zuletzt um 9,4 %. Dabei sind die Tatverdächtigen zu 78,3 % männlich*, die Betroffenen zu 80,1% weiblich*. Über die Hälfte der angezeigten Fälle belaufen sich auf vorsätzliche einfache Körperverletzung, aufgeführt werden aber auch Delikte wie Stalking, sexualisierte Gewalt und Mord. 152 Menschen sind letztes Jahr von ihren Partner*innen umgebracht worden, davon 133 weiblich*.

Seit langem wissen wir, dass Gewalt gegen Frauen* zumeist im sozialen Nahfeld, insbesondere durch Partner* und ehemalige Partner* stattfindet. Zwar sind Männer* ebenfalls von Partnerschaftsgewalt durch Frauen* betroffen, und auch in nicht heterosexuellen Beziehungen kommt partnerschaftliche Gewalt vor. Auch schließt die Datenerfassung Menschen aus, die sich nicht als cisgeschlechtlich oder außerhalb des binären Geschlechtssystems identifizieren. Die überwiegende Mehrheit dieser Art der Gewalt stellt aber dennoch männliche* Gewalt gegen Frauen* dar. Das ist kein Zufall, sondern liegt an gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die – historisch und bis heute – diese Form der Gewalt bagatellisieren und immer noch Bilder vermitteln, die ein Eigentums- und Anspruchsdenken in heterosexuellen Paarbeziehungen fördern. So geht in vielen gewalttätigen Paarbeziehungen sexualisierte und körperliche Gewalt gegen Frauen* mit psychischer Gewalt und extremem Kontrollverhalten des Täters* einher. Das Risiko, Gewalt zu erfahren und sogar getötet zu werden, erhöht sich für Frauen* stark, wenn sie sich von ihrem Partner* trennen – ein weiterer Hinweis dafür, dass die Gewalt oft in einem patriarchalen Besitzdenken der Täter* begründet liegt.

Offizielle Zahlen sind mit Vorsicht zu bewerten

Die offiziellen Zahlen des BKA können dabei keineswegs das gesamte Ausmaß der partnerschaftlichen Gewalt darstellen, sondern nur das sogenannte Hellfeld – also alle Fälle, die der Polizei bekannt werden. Diese Zahlen sind stark vom Anzeigeverhalten der Betroffenen beeinflusst. Gerade Gewalt in sozialen Nahbeziehungen und romantischen Partnerschaften wird allerdings sehr selten zur Anzeige gebracht – wenn sie denn in Fällen der emotionalen und psychischen Gewalt überhaupt als Gewalt identifiziert wird. Ein Grund dafür sind die gesellschaftliche Tabuisierung und Privatisierung dieser Form der Gewalt. Auch sozial bedingte Abhängigkeiten können dazu führen, Anzeigen zu verhindern, etwa ökonomische Abhängigkeit vom Partner*. Mehr angezeigte Fälle können also auch ein positives Zeichen sein und zeigen, dass die Gewalt zunehmend weniger normalisiert und entstigmatisiert wird. Um jedoch das Verhältnis zwischen angezeigter und nicht angezeigter Gewalt zu belegen, bräuchte es verlässliche Zahlen aus dem Dunkelfeld. Weiterhin fehlt es zu Gewalt im digitalen Raum (wovon auch Frauen* und Mädchen* überdurchschnittlich betroffen sind) an Daten.

Eine Studie des BMFSFJ aus dem Jahr 2004 zeigt, dass in Deutschland jede vierte Frau* mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt in einer (ehemaligen) Paarbeziehung betroffen war, deutlich mehr als in den polizeilichen Statistiken erfasst. Aktuellere Zahlen zum Dunkelfeld und eine geschlechterübergreifende Befragung für einen direkten Vergleich von Gewalterfahrungen zwischen Geschlechtern gibt es bislang in Deutschland trotz großem Bedarf nicht. Das BKA hat allerdings angekündigt, gemeinsam mit BMI und BMFSFJ 2025 eine neue geschlechterübergreifende Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag (LeSuBiA)“ herauszubringen, mit dem Ziel, das Dunkelfeld im Bereich von Gewaltvorkommnissen, unter anderem in Partnerschaften, in Deutschland zu untersuchen.

Sorgerechtsregelungen torpedieren Kampf gegen häusliche Gewalt

Wenn es Kinder in der Beziehung gibt, kann es besonders schwer sein, sich vom gewalttätigen Partner* zu trennen. Strukturelle Hindernisse durch Familiengerichte und Jugendämter tragen vielfach dazu bei, dass sich betroffene Frauen* nicht aus gewalttätigen Beziehungen lösen können. Eine Studie aus dem Jahr 2022 kommt zu erschreckenden Ergebnissen: In Sorgerechtsverfahren, in denen Mütter* Gewalt durch die Väter* gegen sich selbst oder ihre Kinder anführten, um ein alleiniges Sorgerecht zu erwirken, wurden die Vorwürfe ausnahmslos ohne Prüfung als Falschaussagen gewertet. Anstatt Mütter* und Kinder vor Gewalt zu schützen, wurden Kinder zum Umgang mit den Vätern* gezwungen. In vielen Fällen wurden die Kinder sogar der Fürsorge der Mutter* entzogen und in Heimen untergebracht, ohne Prüfung einer Kindswohlgefährdung, sondern allein aus dem Grund, dass sie sich gegen einen Umgang mit dem Vater* ausgesprochen hatten. Die CEDAW-Allianz fordert daher, das Umgangsrecht in Gewaltfällen auszusetzen und Fachkräfte und Richter*innen verpflichtend zu Partnerschaftsgewalt weiterzubilden.

Maßnahmen im Kampf gegen Gewalt – CEDAW und Istanbul Konvention endlich umsetzen!

Auch wenn das Ausmaß partnerschaftlicher Gewalt seit langem bekannt ist, wird nicht genug dafür unternommen, möglichst allen Menschen ein gewaltfreies Leben zu ermöglichen.

Um den Vorgaben der Istanbul Konvention gerecht zu werden, fehlen in Deutschland über 14.000 Frauenhausplätze. Auch das System an Beratungsstellen, die eine wichtige Rolle in der Prävention spielen können, ist chronisch unterfinanziert und nicht in der Lage, barrierearme und intersektional gestaltete Angebote aufrechtzuerhalten.

An Gerichten wird Gewalt gegen Frauen* oftmals weiterhin als „Eifersuchtsdelikt“ verharmlost, Gerichtsverfahren sind zudem nicht traumasensibel und auf die Bedürfnisse von Betroffenen abgestimmt. So hatte auch zuletzt der CEDAW-Ausschuss Deutschland aufgefordert, öfter Videobefragungen vor Gericht zu ermöglichen, um Betroffene nicht erneut den Täter*innen auszusetzen. Psychische Gewalt als solche ist in Deutschland zudem kein Straftatbestand, sondern wird weiterhin verharmlost, obwohl sie körperlicher Gewalt oft zuvorkommt, und ein entsprechender Straftatbestand somit ein wichtiges Mittel für präventive Eingriffe sein könnte.

Anstatt sich also jedes Jahr aufs Neue betroffen und schockiert ob der erneut angestiegenen Fälle von Partnerschaftsgewalt zu zeigen, sollten die Vorgaben der Istanbul Konvention und des CEDAW-Ausschusses so schnell wie möglich von der Bundesregierung umgesetzt werden, um den Schutz von Frauen* und die Wahrung ihrer Menschenrechte zu gewährleisten.