28.08.2023

Feministische Kritik am Selbstbestimmungs­gesetz der Bundesregierung

Am 23.8.2023 hat sich die Bundesregierung auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf für ein neues Selbstbestimmungsgesetz (lang: Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag) geeinigt, dass das veraltete und zum Teil verfassungswidrige „Transsexuellengesetz“ aus dem Jahr 1980 ersetzen soll. Dieser Entwurf ist noch nicht verbindlich, sondern muss erst im Bundesrat und Bundestag beraten und abgestimmt werden, bevor das Gesetz verabschiedet werden kann. Im Kern beinhaltet der jetzt vorgelegte Gesetzesentwurf folgende Anpassungen:

  • Die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens soll für trans, nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen vereinfacht und vereinheitlicht werden – dafür soll u.a. die Notwendigkeit eines psychologisches Gutachtens oder medizinisches Attests abgeschafft werden.
  • Volljährige Menschen könnten damit zukünftig durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt die Änderung ihres Geschlechtseintrags und ihrer Vornamen bewirken, diese muss allerdings drei Monate vorher angemeldet werden.
  • Für Minderjährige bis 14 Jahre sollen nur die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt abgeben können, Minderjährige ab 14 Jahren könnten die notwendige Erklärung selbst abgeben; sofern die Zustimmung der Sorgerechtsberechtigten gegeben ist.
  • Nach einer erfolgten Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen würde für eine erneute Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr gelten.
  • Es soll ein Bußgeld verhängt werden können, wenn jemand die Änderung des Geschlechtseintrags von trans, nicht-binären oder intergeschlechtlichen Personen gegen deren Willen offenbart und sie dadurch absichtlich schädigt.
  • Die geplante Regelung sieht ausschließlich die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen vor. Die Frage, ob eine Person zusätzlich geschlechtsangleichende körperliche/medizinische Maßnahmen vornehmen kann, wird dadurch nicht geregelt.

Vielfältige zivilgesellschaftliche Kritik am Gesetzesentwurf

Viele Verbände und Organisationen sind sich darin einig, dass eine Änderung des über 40 Jahre alten „Transsexuellengesetzes“ dringend notwendig ist. Sie begrüßen die Initiative der Bundesregierung. Dennoch gibt es auch viel Kritik am jetzigen Entwurf. Bereits im Mai hat der Bundesverband Trans e.V., der Mitglied in der CEDAW-Allianz ist, festgestellt: „Die starke Verbreitung des trans*feindlichen Narrativs, wonach geschlechtergetrennte Toiletten, Saunen oder Unterkünfte durch das Gesetz weniger geschützt seien, hat zu massiver Verunsicherung geführt. Dies spiegelt sich leider schmerzhaft in dem Gesetzentwurf.“ (Presseerklärung des BV Trans vom 9.5.23)

Der Bundesverband Intergeschlechtliche Menschen e.V., ebenfalls CEDAW-Allianz-Mitglied, sieht die Lebensrealitäten intergeschlechtlicher Menschen im Gesetz nicht beachtet und schlussfolgerte: „Dem Anspruch eines modernen, von Humanismus und Liberalität geprägtem Personenstandsgesetz wird der Referent*innen-Entwurf in der vorliegenden Form daher nicht gerecht.“ (Stellungnahme IM e.V. zum Selbstbestimmungsgesetz)

Viele Vertreter*innen von queeren Vereinen und Frauenverbänden – darunter auch weitere Mitgliedsorganisationen der CEDAW-Allianz wie DaMigra, der Deutsche Frauenrat oder der bff – haben nun eine Petition unterzeichnet, die die Regierungsparteien im Bundestag auffordert, Änderungen am Entwurf vorzunehmen. Sie fordern unter anderem:

  • Die Streichung der dreimonatigen Frist zur Anmeldung der Änderung – denn Menschen, die sich dafür entscheiden, Geschlechtseintrag oder Namen zu ändern, täten das sehr bewusst und nach reiflicher Überlegung. Sie hätten das Recht, diese Entscheidung ohne bevormundende Wartefristen zu treffen.
  • Die Streichung der einjährigen Sperrfrist für erneute Änderungsanträge. Erfahrungswerte mit dem „Transsexuellengesetz“ sowie aus anderen Ländern zeigten, dass es diese Einschränkung nicht braucht.
  • Die Streichung des Absatzes, der „klarstellt“, dass das Hausrecht (etwa in Fitnessstudios oder Saunen), einzelne Personen den Räumlichkeiten zu verweisen, weiterhin besteht. Das sei unnötig, zudem habe auch das Hausrecht Grenzen, wenn es um Diskriminierung geht.
  • Auch die Regelung, dass sportliche Leistungen unabhängig vom aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden können, sei nicht nötig. Eine differenzierte Debatte über die Teilhabe von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen habe in diesem Bereich gerade erst begonnen. • Die Streichung der Regelung, dass es im Spannungs- oder Verteidigungsfall für den Dienst an der Waffe keine Rolle spielen soll, wenn ein männlicher Geschlechtseintrag bis zu zwei Monate vorher geändert wurde. Träfe das z.B. auf eine trans Frau zu, würde sie für die gesamte Dauer des Verteidigungsfalles als wehrpflichtig gelten.
  • Sicherstellung der geschlechtlichen Selbstbestimmung für trans*, inter und nicht-binäre Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, unabhängig von der Unterstützung ihrer Eltern.
  • Die generelle Meldung einer Änderung an Sicherheitsbehörden zu streichen. Dieser Generalverdacht widerspreche einer freien Gesellschaft. Die Information darüber, wer Namen und Geschlechtseintrag ändern lässt, soll laut Kabinettsentwurf an eine lange Liste von Sicherheitsbehörden übermittelt werden – selbst, wenn diese Personen noch nie auffällig oder straffällig geworden sind.

Transfeindliches gesellschaftliches Klima

Insgesamt bemerken die Verfasserinnen der Petition, genauso wie verschiedene Verbände und Organisationen von LGBTIQ Personen bereits seit Monaten, dass der Gesetzesentwurf spürbar in einem „angespannten gesellschaftlichen Klima“ entstanden sei. Ein Selbstbestimmungsgesetz solle aber nicht durch die Anti-Gender-Bewegung geschürte Ängste bedienen, sondern die Menschenrechte von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen schützen, und Diskriminierung dieser Menschen wirksam verhindern.

Auch viele Akteurinnen, die sich selbst als feministisch bezeichnen, verbreiten derzeit gezielt transfeindliche Mythen, laut denen insbesondere durch trans* Frauen eine Gefahr für die Frauenrechte ausgeht. Tatsächlich sind es aber insbesondere trans, inter und nicht-binäre Personen, die immer wieder besonderen Formen von Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt werden. Das bestätigte zuletzt 2020 eine umfangreiche Studie der Europäischen Grundrechteagentur.

Umso wichtiger ist es, dass viele frauenpolitische Akteurinnen sich solidarisch an die Seite von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen stellen. So hat die Frauenhauskoordinierung bereits letztes Jahr betont: Gewaltschutz muss für ALLE Frauen gelten. Darüber hinaus stellte sie klar, dass niemand ausschließlich aufgrund des weiblichen* Geschlechts Zugang zu Frauenhäusern erhalte, die Vorstellung, dass Männer* sich spontan als trans* Frauen Zugang zu Frauenhäusern verschaffen könnten, sei also schlichtweg falsch.

Auch die CEDAW-Allianz steht solidarisch an der Seite ALLER Frauen* und Mädchen* und fordert eine konsequent intersektionale Gleichstellungspolitik, die auch die Rechte von Menschen mit diversen geschlechtlichen Identitäten und Körpern und queeren Frauen* und Mädchen* anerkennt.