28.09.2023

Safe Abortion Day: Reproduktive Rechte sind Menschenrechte

Am 28. September ist der internationale Aktionstag für das Recht auf einen sicheren und legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen (auf Englisch Safe Abortion Day). Ein guter Grund, sich daran zu erinnern, dass in Deutschland Frauen* und behandelnde Ärzt*innen immer noch stigmatisiert und kriminalisiert werden. Auch die sich zuspitzende Versorgungslage und eine erstarkende Anti-Gender Bewegung verdeutlichen: Reproduktive Rechte sind auch heute nicht selbstverständlich.

Diskriminierung per Gesetz

Die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist in Deutschland im europäischen  Vergleich sehr niedrig (Statista Research Department). Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass seit etwa 10 Jahren die Anzahl der Abtreibungen in Deutschland bei um die 100.000 pro Jahr liegt. Betrachtet man die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche über einen längeren Zeitraum ist die absolute Zahl erheblich gesunken: von 130.899 im Jahr 1996 auf 103.927 im Jahr 2022.

Gemäß §218 Strafgesetzbuch (StGB) ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich strafbar. Nur unter der Voraussetzung der so genannten Beratungsregelung (§ 218a Absatz 1 StGB) entfällt die strafrechtliche Verfolgung. Entsprechend der Beratungsregelung muss sich eine schwangere Person mindestens drei Tage vor der Abtreibung bei einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen, eine entsprechende Bescheinigung bei den behandelnden Ärzt*innen vorlegen und den Abbruch innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durchführen (BMFSJ). Im Jahr 2022 erfolgten laut Daten des Statistischen Bundesamts 96 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche entsprechend dieser Regelung. Bei den anderen 4 Prozent sind medizinische oder kriminologische Faktoren Grund für den Abbruch. So kann eine Abtreibung auch ohne Pflichtberatung und nach der zwölften Schwangerschaftswoche vorgenommen werden, wenn die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist oder die Schwangerschaft auf ein Sexualdelikt wie eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung zurückgeht (pro familia).

Die CEDAW-Allianz Deutschland kritisiert in ihrem neusten Alternativbericht (2023) den §218: „Diese gesetzliche Regelung schadet Frauen*, verletzt ihre sexuellen und reproduktiven Rechte und stellt eine Diskriminierung von Frauen* wegen ihres Geschlechts dar“. Dabei sind reproduktive Rechte auch auf völkerrechtlicher Ebene festgeschrieben. So heißt es in der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW, die von Deutschland im Jahr 1985 ratifiziert wurde, die Regierung müsse gewährleisten, dass Frauen* das Recht auf „freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über Anzahl und Altersunterschied ihrer Kinder sowie auf Zugang zu den zur Ausübung dieser Rechte erforderlichen Informationen, Bildungseinrichtungen und Mitteln“ haben (Artikel 16e).

Zur Umsetzung der reproduktiven Rechte von Frauen* formuliert die CEDAW-Allianz Deutschland unter anderem folgende Forderungen:

  • Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB) an internationale Menschenrechtsabkommen anpassen
  • Kriminalisierung von Frauen* und Ärzt*innen beenden
  • Pflichtberatung und dreitägige Wartefrist abschaffen
  • Recht auf Beratung zu allen Aspekten von Sexualität und Schwangerschaft, zu reproduktiven Rechten und sexueller Gesundheit

Auch der CEDAW-Ausschuss der UN untermauert in seinen abschließenden Bemerkungen zum 9. deutschen Staatenbericht die Forderung nach einer vollständigen Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ohne obligatorische Beratung und Wartefrist. Der Expert*innenausschuss betont dabei, dass das auch den Richtlinien der WHO zum Thema entsprechen würde.

Diskriminierung durch strukturelle Unterversorgung

Nicht nur die gesetzliche Regelung erschwert Frauen* eine selbstbestimmte Entscheidung, sondern auch die Versorgungslage. Die Anzahl ärztlicher Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und melden ist laut Statistischem Bundesamt zwischen 2003 und 2023 (2. Quartal) von 2.050 auf 1.098 gesunken und hat sich damit fast halbiert.

Im Jahr 2022 wurden 86.075 der Schwangerschaftsabbrüche in gynäkologischen Praxen vorgenommen sowie die restlichen 17.852 in Krankenhäusern, dort überwiegend ambulant (Statista Research Department). Aktuell sind nur ein Drittel der gynäkologischen Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, über die Bundesärztekammer öffentlich einsehbar. Das liegt daran, dass die Aufnahme in die Liste freiwillig erfolgt und die behandelnden Ärzt*innen oft Sorge vor öffentlicher Stigmatisierung durch Abtreibungsgegner*innen haben. Auch so genannte „Gehsteigbelästigung“ vor den Praxen ist ein großes Problem, insbesondere für die Frauen*, die Abbrüche dort durchführen lassen wollen. Dementsprechend können Patient*innen bei einer Onlinesuche nur einen Bruchteil der behandelnden Ärzt*innen finden und sind auf die nicht offen zugänglichen Listen von Beratungsstellen wie pro familia angewiesen.

Trotz der schrumpfenden Versorgungslage ist auch das Angebot in öffentlichen Krankenhäusern als Teil der staatlichen Gesundheitsvorsorge mangelhaft. Eine von CORRECTIV.Lokal erstellte Datenbank zeigt, dass nur 38 Prozent der öffentlichen Kliniken mit einer gynäkologischen Abteilung Schwangerschaftsabbrüche nach der zuvor genannten Beratungsregelung anbieten. So müssen betroffene Frauen* oft einen längeren Weg zu behandelnden Praxen oder Krankenhäusern zurücklegen. Dabei sind manche Regionen in Deutschland stärker betroffen als andere.

In Bayern ist die Versorgungslage zum Beispiel besonders kritisch. Laut der Bundesärztekammer gibt es 8 gemeldete Arztpraxen auf 6.5 Millionen Einwohner*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Die Hälfte dieser gemeldeten Praxen befindet sich in München. Dementsprechend müssen beispielsweise Frauen* aus Bayreuth je nach Terminvergabe mindestens 52 Kilometer nach Marktredwitz oder 234 Kilometer nach München für eine Behandlung zurücklegen (Mehr als du denkst, weniger als du denkst).

Mit dieser sich verschlechternden Versorgungslage ist auch in Deutschland der sichere Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gefährdet. Deswegen fordert die CEDAW-Allianz Deutschland:

  • evidenzbasierte Informationen zum Schwangerschaftsabbruch bereitstellen
  • offensichtliche Falschinformationen im Internet sowie die Diffamierung einzelner Ärzt*innen und Gehsteigbelästigungen unterbinden
  • Zugang zu kostenlosen und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen
  • flächendeckende Versorgung beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch und den dafür nötigen Zugang zu Misoprostol

Reproduktive Rechte weltweit in Gefahr

Weltweit lebt jede zweite Frau in einem Land mit beschränktem oder gar keinem legalen Zugang zu sicheren Abtreibungen (Ärzte der Welt). Das führt dazu, dass jährlich 8 Millionen Abbrüche mit lebensgefährlichen Methoden durchgeführt werden. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass zwischen 4.7 und 13.2 Prozent der weltweiten Müttersterblichkeit auf unsichere Abbrüche zurückgeführt werden können. In Rumänien beispielsweise sank die Müttersterblichkeit um das 16-fache, nachdem die Abtreibungsgesetze gelockert und die medizinische Versorgung verbessert wurden (Mehr als du denkst, weniger als du denkst). Zusammenfassend bringt es die Weltgesundheitsorganisation auf den Punkt: „Die Einschränkung des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen führt nicht zu einer Verringerung der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche, hat jedoch einen erheblichen Einfluss darauf, ob die vorgenommenen Abtreibungen sicher sind.“

Zudem sind rechtspopulistische und antifeministische Bewegungen, die gegen die Gleichstellung der Geschlechter sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRHR) mobilisieren, in den letzten Jahren im nationalen und internationalen Kontext erstarkt. In der Anti-Gender-Bewegung treffen unterschiedliche politische Ausrichtung zusammen: rechte Gruppierungen, rechtspopulistische Parteien, christlich-fundamentalistische Organisationen, aber auch bürgerlich-konservative Milieus. Die Angriffe richten sich insbesondere gegen die Rechte von LGBTIQ*-Personen, reproduktive Rechte und die Reproduktionsmedizin sowie gegen die Aufklärung über Sexualität und Geschlechtergleichstellung. Fortschritte in den genannten Bereichen werden als „Propagierung von Homosexualität“ oder „Abschaffung der Familie“ umgedeutet.

Dementsprechend ist es wichtig, reproduktive Rechte nicht als selbstverständlich anzusehen und gegen Stimmen aus dem rechtspopulistischen und antifeministischen Milieu zu verteidigen. Denn: Reproduktive Rechte sind Menschenrechte!