25.11.2023

Orange The World: Gewalt gegen Frauen* geht uns alle an!

Heute, am Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen*, startet die 16-tägige „Orange The World“-Kampagne. Sie wurde von den Vereinten Nationen (UN) ins Leben gerufen, um auf die Gewalt gegen Frauen* als eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen weltweit aufmerksam zu machen. Auch in Deutschland sind Frauen* und Mädchen* sowie Menschen mit diversen geschlechtlichen Identitäten und Körpern täglich von körperlicher und sexualisierter Gewalt betroffen. Sei es in den eigenen vier Wänden, im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz, in Institutionen und Behörden oder im digitalen Raum. Das muss ein Ende haben!

Seit 1991 machen die UN mit der „Orange The World“ Kampagne, symbolisiert durch orangene Handabrücke, auf die Gewalt gegen Frauen* aufmerksam. Auch wenn diese Aktion schon seit über zwanzig Jahren stattfindet, hat sie nicht an Aktualität verloren: Geschlechtsspezifische Gewalt ist weltweit Alltag und immer noch tief in den Strukturen unserer Gesellschaft verwurzelt.

Von geschlechtsspezifischer Gewalt sind überwiegend Frauen* und Mädchen* betroffen. Sie kann sich aber auch gegen Personen richten, die nicht den traditionellen Geschlechternormen oder einem streng binären Geschlechtsverständnis entsprechen z.B. trans* oder nicht-binäre Personen.

Nach sogenannten Dunkelfeldstudien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlebt mindestens jede dritte Frau* im Laufe ihres Lebens physische und/oder sexualisierte Gewalt, was in Deutschland mehr als 12 Millionen Menschen umfasst. In den meisten Fällen geht diese Gewalt von Männern* aus dem sozialen Umfeld der betroffenen Frauen* aus, z.B. (Ex-)Partner*, Kollegen*, Verwandte oder Freunde*. Dabei sind öffentliche Orte, anders als oft wahrgenommen, viel weniger gefährlich als der soziale Nahraum: Die meiste Gewalt findet zuhause statt (UN Women). Trotzdem erleben viele Frauen*, Mädchen* und Menschen mit diversen geschlechtlichen Identitäten und Körpern immer wieder auch Gewalt in der Öffentlichkeit und betrachten sie als Teil ihres Alltags. Über die Hälfte aller Frauen* meidet deswegen bestimmte Orte bei Dunkelheit oder fühlt sich dort unsicher (Bundesministerium für Inneres und Heimat).

Unter geschlechtsbezogene Gewalt fallen u.a. auch Menschenhandel, weibliche Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat. Der Begriff Menschenhandel umfasst die (wirtschaftliche) Ausbeutung von Menschen durch Gewalt, Zwang, Betrug oder Täuschung. Dazu zählt auch der Zwang zu sexuellen Handlungen in Form von Nötigung, erzwungene pornografische Inhalte, oder Zwangsprostitution (UN Women). Entsprechend der Zahlen des Bundeskriminalamts bilden Frauen* in Deutschland die Mehrheit der Betroffenen von sexueller Ausbeutung. Auch die Anzahl der weiblichen Genitalverstümmelungen ist zwischen 2017 und 2020 um 40 Prozent gestiegen (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).

Unabhängig davon, ob sie im privaten oder öffentlichen Raum stattfindet, hat geschlechtsspezifische Gewalt sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen auf das körperliche, psychische und wirtschaftliche Wohlbefinden der Betroffenen. Die WHO bezeichnet Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* daher als “ globales Problem der öffentlichen Gesundheit“. Die allgegenwärtige Furcht vor Gewalt beeinträchtigt die Fähigkeit von Frauen* und Mädchen*, gleichberechtigt und vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben (Bundeskriminalamt).

Um Frauen* und Mädchen* in Deutschland vor geschlechtsspezifischer Gewalt in Form von Menschenhandel und Genitalverstümmelung zu schützen, fordert die CEDAW-Allianz in ihrem Alternativbericht:

  • die Erarbeitung und Umsetzung Nationaler Aktionspläne zur Bekämpfung von Menschenhandel und FGM und zum Schutz aller Betroffenengruppen
  • eine politische Koordinierungsstelle Menschenhandel auf Bundesebene
  • eine ausreichende und langfristige Finanzierung bestehender Beratungsstellen sowie Ausbau des Hilfesystems für Betroffene von Menschenhandel und FGM
  • eine einheitliche Regelung, die von Menschenhandel Betroffenen Zugang zu angemessenen Leistungen ermöglicht
  • Fortbildungen zu Menschenhandel in Justiz und Strafverfolgung
  • die systematische Einbeziehung von Weiterbildungsangeboten zu geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich FGM, in die Aus- und Weiterbildung relevanter Berufsgruppen
  • die Kennzeichnung von FGM vor allem Infibulation (Typ III) im Mutterpass, nur mit ausdrücklichem Einverständnis der Frau*, für eine bessere Versorgung betroffener Frauen* rund um die Geburt
  • mehrsprachige und leicht zugängliche Informationen über Hilfsangebote an allen geeigneten Stellen (z. B. Behörden, Arztpraxen, Beratungsstellen, Schulen)
  • die Durchführung einer nationalen Sensibilisierungskampagne zu FGM

Partnerschaftliche Gewalt stellt eine der weltweit häufigsten Formen geschlechtsspezifischer Gewalt dar. Sie umfasst körperliche, sexualisierte, emotionale, ökonomische oder psychische Handlungen, die darauf abzielen, Macht und Kontrolle über die Partnerin* zu erlangen oder aufrechtzuerhalten. Oft beginnt Partnerschaftsgewalt mit kontrollierendem Verhalten und verbalen Angriffen, die möglicherweise nicht als Gewalt erkannt werden und sich dann zunehmend verschärfen (die sogenannte „Gewaltspirale“).

Laut Bundeskriminalamt erfuhr im Jahr 2022 alle vier Minuten eine Frau* in Deutschland Gewalt durch ihren (Ex-)Partner*. Fast jeden Tag versucht ein (Ex-)Partner* eine Frau* zu töten, an jedem dritten Tag gelingt ihm* dies. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Betroffenen dabei um 9,1 Prozent gestiegen. Partnerschaftliche Gewalt umfasst in dieser Statistik Mord und Totschlag, Körperverletzungen, sexuelle Übergriffe und Nötigung, Vergewaltigung, Bedrohung, Stalking, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. Dabei werden jedoch nur Straftaten erfasst, die auch zur Anzeige gebracht wurden. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Bundesfamilienministerin Lisa Paus sagte gegenüber dem Südwestrundfunk, es sei davon auszugehen, dass gut zwei Drittel der weiblichen* Betroffenen auch nach schwerster Gewalterfahrung nicht zur Polizei gehen. Zudem werden viele Formen psychische sowie ökonomische Gewalt gar nicht erfasst, da es in Deutschland dazu keine Straftatbestände gibt. Auch die Anzahl der Femizide in Deutschland, also die vorsätzlichen Tötungen von Frauen aufgrund ihres Geschlechts (Definition WHO), ist unbekannt. Grund ist die fehlende juristische Anerkennung des Begriffs „Femizid“ durch die Bundesregierung. Der geschlechtsspezifische Hintergrund von Femiziden spielt in Gesetzgebung und Rechtsprechung kaum eine Rolle. Das führt dazu, dass diese Tötungsdelikte seltener als Mord eingestuft und Täter* oft zu niedrigeren Haftstrafen verurteilt werden (Bundeszentrale für politische Bildung).

Effektiven Schutz vor Gewalt jeglicher Form bieten Frauenhäuser. Doch auch fünf Jahre nach der Ratifizierung der Istanbul Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, fehlen immer noch etwa 15.000 Frauenhausplätze (CEDAW Alternativbericht). Dies hebt auch der UN-CEDAW Ausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen hervor und fordert die Anzahl der Frauenhäuser zu erhöhen und Unterstützung zu anbieten, die sowohl zugänglich als auch an spezifische Bedürfnisse angepasst ist.

Darüber hinaus haben nicht alle Frauen* Zugang zu Frauenhäusern: Die aktuelle Regelung schließt Frauen* aus, die sich in prekären Aufenthaltsverhältnissen befinden, ebenso wie Studentinnen* und Auszubildende. Frauen* mit eigenem Einkommen oder Vermögen müssen für ihren Schutz selbst aufkommen. Darüber hinaus sind nur wenige Frauenhäuser barrierefrei. Frauen* mit besonderem Unterstützungsbedarf – sei es aufgrund von Assistenz- oder Pflegebedarf, Suchtproblemen, psychischen Erkrankungen oder mehreren Kindern sowie Opfer von Menschenhandel und Trans* Frauen – werden nur selten aufgenommen, da fast überall angemessene räumliche und personelle Ressourcen fehlen (CEDAW Alternativbericht).

Zur Bekämpfung dieser Missstände fordert die CEDAW-Allianz Deutschland in ihrem Alternativbericht:

  • gemäß den Anforderungen des Artikels 33 Istanbul-Konvention einen strafrechtlichen Tatbestand durch das Hervorrufen ernsthafter psychischer Beeinträchtigungen einzuführen. Darunter fallen z. B. nicht-körperliche Formen von häuslicher und sexualisierter Gewalt oder die Bedrohung von Opfern des Menschenhandels oder ihrer Angehörigen
  • den Begriff „Femizide” anzuerkennen und darauf hinzuwirken, dass Tötungsdelikte an Frauen* und Mädchen* grundsätzlich schärfer bestraft werden als bisher
  • Frauenhäuser bundesweit flächendeckend und bedarfsgerecht bereitzustellen. Die Vorgaben der Istanbul-Konvention sind zu berücksichtigen
  • Aufenthalts- und asylrechtliche Zugangshürden zu Frauenhäusern unverzüglich zu beseitigen und die barrierefreie Ausstattung aller Frauenhäuser intensiv zu fördern
  • die Verpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen, sich gemeinsam in den Ausbau und die Sicherung der Finanzierung der Frauenhäuser einzubringen

Durch die weite Verbreitung sozialer Medien und technologischer Entwicklungen findet geschlechtsspezifische Gewalt vermehrt auch im digitalen Raum statt. Dabei spielen technische Hilfsmittel und digitale Medien wie Handys, Apps, Internetanwendungen und E-Mails eine große Rolle (Frauen gegen Gewalt e.V.). So erreichen im Internet veröffentlichte gewaltvolle Äußerungen sehr schnell ein großes Publikum und können nur schwer wieder gelöscht werden. Die Täter*innen bleiben häufig anonym, was die Strafverfolgung erschwert und somit die Hemmschwelle senkt. Formen digitaler Gewalt wie Drohungen, Beleidigungen oder Rufschädigung werden häufig gezielt gegen Frauen* eingesetzt, um sie zum Schweigen zu bringen und aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Gerade feministische und gleichstellungspolitische Akteur*innen erleben zunehmend, wie ihre Positionen und ihr öffentlicher Auftritt auf diese Weise angegriffen werden (Auswirkungen von Antifeminismus auf Frauenverbände).

Doch auch im Rahmen von Partnerschaftsgewalt spielen soziale Netzwerke und digitale Technologien zunehmend eine Rolle, etwa wenn Stalking-Apps oder Deep Fakes genutzt werden, um Betroffene anzugreifen. Digitale und analoge Gewalt verstärken und ergänzen sich dabei oft gegenseitig.

Zur Bekämpfung der digitalen Gewalt fordert die CEDAW Allianz in ihrem Alternativbericht:

  • eine langfristige und effektive Strategie gegen digitale Gewalt durch Expertise und Zusammenwirken staatlicher und nichtstaatlicher Akteur*innen zu entwickeln
  • Polizei und Justiz personell so auszustatten, dass Ermittlung und Strafverfolgung im Bereich digitaler Gewalt gewährleistet sind
  • Mitarbeitende in Behörden regelmäßig fortzubilden
  • eine angemessene Finanzierung und personelle Ausstattung der Fachberatungsstellen, um Frauen* und Mädchen*, die von digitaler Gewalt betroffenen sind, zu beraten

Durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat Deutschland sich dazu verpflichtet, effektive Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen* voranzutreiben. Und auch der CEDAW-Ausschuss der UN definiert geschlechtsspezifische Gewalt in seiner allgemeinen Empfehlung Nr. 35 als eine Form der Diskriminierung und betont das Menschenrecht, frei von Gewalt zu leben. Doch die weiterhin hohen Zahlen an Betroffenen verdeutlichen: In Deutschland fehlt es an einer ganzheitlichen politischen Strategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* und andere marginalisierte Gruppen. Zudem sehen sich von Gewalt Betroffene oft erheblichen Hindernissen gegenüber, wenn sie versuchen, die Täter* anzuzeigen. Die Gerichtsverfahren selbst sind äußerst belastend, da sie oft von „Victim Blaming“ geprägt sind und die Betroffenen erneut traumatisieren. So wird betroffenen Personen vorgeworfen, sie seien an der erlebten Gewalt selbst schuld oder hätten diese provoziert, weil sie sich beispielsweise auf eine Verabredung über eine Dating-App eingelassen, feiern gegangen oder Drogen genommen haben (Humboldt Law Clinic Grund und Menschenrechte). Verurteilungen sind selten und führen zu vergleichsweisen milden Strafen (Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform).

Um das Menschenrecht auf Schutz vor Gewalt für alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten auch in Deutschland zu verwirklichen, fordert die CEDAW-Allianz in ihrem Alternativbericht:

  • eine bundesweit wirksame, intersektional ausgerichtete und ressortübergreifende Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen*
  • die Einrichtung einer staatlichen Koordinierungsstelle nach Artikel 10 der Istanbul-Konvention
  • ein bundesweites, flächendeckendes und ausreichend finanziertes Netz an spezialisierten und barrierefreien Fachberatungsstellen zur zeitnahen Beratung und Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen*, zur Intervention nach einem Polizeieinsatz und bei oder nach sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend
  • bundesweite barrierefreie, mehrsprachige, diversitätsorientierte, niedrigschwellige weitere Hilfsangebote, wie z. B. Gesundheitsangebote für Mädchen* und Frauen*, (anonyme) Spurensicherung und Therapieplätze
  • Täterarbeit bundesweit auf- und auszubauen und als ergänzende Maßnahme zum Opferschutz einzubinden