Gleichberechtigung statt Rosen – der Weltfrauentag im Spiegel der Zeit
Jedes Jahr am 8. März werden die Widersprüche des modernen Feminismus besonders deutlich: Während die einen auf die Straße gehen, um ein Ende der geschlechtsspezifischen Gewalt oder gleiches Geld für gleiche Arbeit zu fordern, verschenken die anderen Rosen. Was ist der Weltfrauentag – feministischer Kampftag für eine gerechtere, gleichberechtigtere Welt oder ein kommerzialisierter Feiertag, der sich kaum noch vom Valentinstag unterscheidet?
Frauenrechtsorganisationen und Gewerkschaften haben diese Frage für sich selbst klar beantwortet, und rufen wie jedes Jahr zu Demonstrationen und Streiks auf. Gründe genug gibt es: Die DGB-Frauen etwa fordern anlässlich des Weltfrauentags:
- die eigenständige Existenzsicherung von Frauen* als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben,
- die faire Aufteilung von bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Familienarbeit zwischen Frauen* und Männern*,
- gute öffentliche Angebote für die Betreuung von Kindern und die Versorgung von Pflegebedürftigen, und
- eine Arbeitswelt und ein Leben frei von Gewalt.
Unter dem Motto „Invest in women: Accelerate progress“ (auf deutsch: In Frauen* investieren, Fortschritt vorantreiben) fordert UN Women die Regierungen dazu auf, mehr Geld für Frauenrechte bereitzustellen, Gender Budgeting umzusetzen, sich alternativen Wirtschaftsmodellen mit einem Fokus auf Sorgearbeit zuzuwenden und Frauenrechtsaktivist*innen weltweit zu unterstützen.
Der Weltfrauentag im Kampf gegen Ausbeutung
Und auch ein Blick in die Geschichte des 8. März zeigt deutlich: Seit jeher ist der Weltfrauentag Ausdruck eines politischen Kampfes um Gerechtigkeit. Die Wurzeln des Frauentags sind eng verbunden mit dem Kampf der Arbeiter*innen gegen ihre Ausbeutung, angefangen bei der Streikbewegung der Näherinnen in New York im Jahr 1909, die dreizehn Wochen ihre Arbeit niederlegen, um menschenwürdige Löhne für ihre Arbeit zu fordern. 1910 wird ein alljährlicher Frauentag auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz beschlossen, der vor allem dazu dienen soll, das Frauenwahlrecht zu fordern. 1911 ruft die deutsche Sozialistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin zum ersten internationalen Frauentag auf. Menschen in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz folgen dem Aufruf und gehen für das Frauenwahlrecht, aber auch für mehr Schutz von Arbeiterinnen, soziale Fürsorge für Mutter und Kind, die Gleichbehandlung von ledigen Müttern, ein besseres Angebot von Kinderkrippen und -gärten auf die Straße. Mit Beginn des 1. Weltkriegs steht der Frauentag zunehmend auch im Zeichen des Pazifismus, und wird genutzt, um gegen die Militarisierung und den Krieg in Europa zu mobilisieren.
Am 8. März 1917 streiken russische Textilarbeiterinnen und gehen zu Tausenden in St. Peterburg gegen das Zarenreich auf die Straße. Mit ihren Forderungen nach besseren Löhnen und Demokratie setzen sie die Februarrevolution (der 8. März ist im damals in Russland geltenden julianischen Kalender der 25. Februar) in Gang, die zum Ende des Zarenreichs führt (siehe auch Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg).
Der Weltfrauentag im Kampf gegen Kolonialismus
Nach dem zweiten Weltkrieg gewinnt der Frauentag auch im Rahmen antikolonialer und -imperialistischer Bewegungen an Bedeutung (siehe Zócalo Public Square): Im Dezember 1949 rufen Frauen* aus Asien, Afrika, der Karibik und Südamerika bei der Asian Women’s Conference in Beijing dazu auf, den Weltfrauentag am 8. März 1950 zu nutzen, um sich weltweit für Dekolonisierung und die Rechte von Arbeiterinnen einzusetzen. Überall auf der Welt werden daraufhin Aktionen organisiert, um sich gegen kolonialistische und imperialistische Aggressionen und ihre Auswirkungen auf die Frauen* vor Ort einzusetzen: In verschiedenen argentinischen Städten organisieren linke Frauengruppen Friedenskongresse, in Brasilien werden zehntausende Flugblätter gegen den Ausverkauf brasilianischen Öls an die USA verteilt. In Damaskus und Homs organisieren Frauen* Anti-Kriegs-Demonstrationen und in der Elfenbeinküste Proteste gegen die französische Besatzung.
Und auch Frauen* aus den Machtzentren des Globalen Nordens solidarisieren sich mit den antikolonialen Widerstandbewegungen. Europäische und US-amerikanische Frauenrechtlerinnen, die 1949 in Beijing waren, tragen ihre Forderungen zurück in die Parlamente und auf die Straßen ihrer Heimat.
Der Weltfrauentag heute
Seit 1975 ist der internationale Frauentag von den Vereinten Nationen als Aktionstag anerkannt. In Berlin und seit letztem Jahr auch in Mecklenburg-Vorpommern ist er sogar gesetzlicher Feiertag (ähnlich wie in der Ukraine, in Kasachstan, Uganda, Aserbaidschan, oder Laos). Zunehmend finden intersektionale Perspektiven und Diskriminierungen Eingang in den feministischen Protest. Daher wird der Weltfrauentag vielerorts auch als feministischer Kampftag bezeichnet, um am 8. März das Eintreten gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung jenseits binärer Geschlechtsidentitäten zu vereinen.
Es gibt immer noch Gründe genug, zu protestieren: Nirgendwo auf der Welt ist die Gleichstellung der Geschlechter erreicht. In Deutschland ist dieses Jahr zwei Tage vor dem 8. März der Equal Pay Day – bis zum 6. März 2024 müssen Frauen* durchschnittlich arbeiten, um auf das Jahresgehalt zu kommen, dass Männer* 2023 verdient haben. Die soziale Ungleichheit innerhalb der Länder, aber auch zwischen den einkommensstarken und -schwachen Ländern nimmt weiter zu. Es braucht also auch über 100 Jahre nach seiner Entstehung immer noch einen internationalen Weltfrauentag, um gemeinsam und solidarisch gegen Ausbeutung, Gewalt und Krieg einzutreten.