21.03.2024

Internationaler Tag gegen Rassismus

Am 21.3.1960 demonstrierten Tausende friedlich gegen das rassistische Apartheidsystem im südafrikanischen Township Sharpeville. 69 Menschen wurden von der Polizei erschossen, Hunderte weitere verletzt. 6 Jahre später rief die UN-Generalversammlung den 21. März zum Internationalen Tag für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung aus. Warum dieser Tag auch in Deutschland immer noch notwendig ist.

Rassismus als historisches Verhältnis

Um Rassismus zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück in die Vergangenheit. Im Zuge des europäischen Kolonialismus wurde die Rassenideologie entwickelt, um die Opfer von Vertreibung, Ausrottung und Sklaverei zu entmenschlichen. Diese von den Kolonialmächten ausgeübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden durch Abwertung, Homogenisierung und ‚Othering‘ (deutsch: zum Anderen machen) legitimiert. Die dabei entwickelte abwertende Sprache, mit der die „entdeckten“ Gebiete und die dort lebenden Menschen beschrieben wurden, findet sich noch heute in unserem Sprechen (und Denken) wieder (s. etwa Bundeszentrale für politische Bildung). Das „Wissen“ über Afrika, Amerika und Asien, wie wir es noch heute an vielen Stellen kulturell, politisch und sozial vermittelt bekommen, hat seinen Ursprung ebenfalls in dieser Epoche. Edward Said beschrieb dieses Phänomen später für die westliche Wahrnehmung der arabischen Welt als „Orientalismus“: Der „Orient“ ist keine tatsächlich existierende geopolitische Einheit, sondern entsteht erst in Abgrenzung zum Westen als ein von der westlichen Wahrnehmung geprägtes Konstrukt (s. le monde diplomatique).

Und nicht nur unsere Wahrnehmung und Sprache sind immer noch beeinflusst von Kolonialismus und Rassismus: Inzwischen ist erwiesen, dass der transatlantische Sklavenhandel, dem Schätzungen zufolge 40 Millionen Menschen zum Opfer fielen, die industrielle Revolution in Europa mindestens beschleunigte (European Route of Industrial Heritage). Unser heutiger Wohlstand ist also eng mit (post)kolonialer Ausbeutung verknüpft. Darüber hinaus lassen sich viele der Konflikte und die oftmals schwierige ökonomische Situation ehemaliger Kolonien direkt oder indirekt auf Auswirkungen der Kolonisierung zurückführen (geo.de). Dass wir das selten so wahrnehmen, sondern vielmehr auf Narrative von „entwickelten“ Industriestaaten und korrupten, verschuldeten „Entwicklungsländer“ stoßen, ist ebenfalls ein Zeichen postkolonialer Wissensbestände.

Rassismus in Deutschland

Eine ebenfalls wenig bekannte Tatsache ist, dass auch Deutschland eine Kolonialmacht war. Auf über 2,5 Millionen km² gründete das deutsche Kaiserreich insgesamt neun Kolonien, mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung (Augsburger Allgemeine). In dieser Zeit fand der deutsche Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia statt, dem schätzungsweise 75.000 Menschen zum Opfer fielen.

Auch heute gibt es Rassismus in Deutschland: Jeden Tag werden mindestens vier Menschen Opfer rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt (Bundeszentrale für politische Bildung). Laut einer Studie von 2022 gehen 90 Prozent der Bevölkerung davon aus, dass es in Deutschland Rassismus gibt, 61 Prozent der Befragten nehmen diesen als alltäglich wahr. Rassistische Diskriminierung kann etwa bei der Wohnungs- oder Jobsuche, in Ämtern und Behörden oder in der Schule eine Rolle spielen. Einer aktuellen Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte zufolge ist Deutschland sogar negativer Spitzenreiter, was Rassismus gegen Schwarze Menschen betrifft: Demnach gaben 77 Prozent der in Deutschland befragten Studienteilnehmer*innen mit afrikanischen Wurzeln an, innerhalb der vergangenen fünf Jahre explizit wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe von Rassismus betroffen gewesen zu sein.

Die sogenannten Gastarbeiter*innen und ihre Nachkommen erleben in Deutschland ebenfalls Rassismus. Im „Wirtschaftswunderland“ der Nachkriegszeit wurden billige Arbeitskräfte gesucht, und daher Anwerbeabkommen mit südeuropäischen und nordafrikanischen Staaten geschlossen. Die Menschen, die zum Arbeiten in die Bundesrepublik kamen, verließen ihr Zuhause und oftmals ihre Familien, um vor Ort prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen vorzufinden. Schon in den 1970er Jahren zeigten die Arbeitskämpfe der Gastarbeitenden, wie wenig die deutsche Mehrheitsgesellschaft (in Form von Gewerkschaften, Parteien und der medialen Öffentlichkeit) bereit war, sich mit den Migrant*innen zu solidarisieren (s. swr.de). Auch in der DDR gab es Gastarbeitende aus den „Bruderstaaten“ des Globalen Südens, die unter dem vorherrschenden Rassismus litten: Ein extremes Beispiel ist der staatliche Betrug vieler Tausend Mosambikaner*innen, denen ein Teil ihres – ohnehin niedrigen – Lohnes enthalten und bis heute nicht gezahlt wurde (domid.org).

Rassismus und FrauenMenschenrechte

Bis heute spielen Menschenrechtsverletzungen aufgrund von Rassismus in vielen Bereichen eine große Rolle. So ist nicht nur Human Rights Watch der Ansicht, dass die auf Abschottung ausgelegte EU-Migrationspolitik zu Todesfällen, Folter und Menschenrechtsverletzungen beiträgt. Abkommen mit Drittstaaten, fehlende Bereitschaft zur Seenotrettung und die Zustände in Lagern an den EU-Außengrenzen werden immer wieder kritisiert. In Deutschland sind insbesondere geflüchtete Frauen* in Gemeinschaftsunterkünften erhöhten Gewaltrisiken ausgesetzt. Die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung von Frauen* als Asylgrund findet wenig statt. Dies betrifft auch lesbische, inter- und transgeschlechtliche Frauen*. Häufig werden sie als nicht glaubwürdig eingestuft oder es wird auf vermeintliche inländische Fluchtalternativen verwiesen.

Menschenrechte sind nicht teilbar und sollten für alle Menschen gelten, unabhängig von Herkunft, Glaube oder Hautfarbe. Zwar hat die Bundesregierung die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung ratifiziert, allerdings nicht die Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen. Das hat auch der CEDAW-Ausschuss wiederholt kritisiert, und Deutschland zuletzt in den Abschließenden Bemerkungen von Mai 2023 erneut aufgefordert, der Konvention beizutreten, um den vollumfänglichen Schutz aller Frauen* und Mädchen* in allen Lebensbereichen zu verbessern.

Auch für eine konsequente Umsetzung der Frauenrechtskonvention CEDAW ist die entschlossene Bekämpfung von Rassismus relevant, denn die Frauenrechte müssen für alle gelten. Im Zuge des letzten Staatenberichtsverfahrens zeigte sich der CEDAW-Ausschuss deswegen besorgt über rassistische Diskriminierung u.a. auf dem Arbeitsmarkt und durch die Polizei. Er forderte die Bundesregierung auf, Maßnahmen gegen Rassismus und intersektionale Diskriminierung zu ergreifen, und das Aufenthaltsrecht dahingehend zu ändern, dass es den Zugang von Frauen* und Mädchen* zu Gewaltschutz und Gesundheitssystem nicht behindert.

Die CEDAW-Allianz Deutschland fordert zum Schutz von geflüchteten Frauen* und vor intersektionaler Diskriminierung in Deutschland:

  • Intersektionalität bei der Bearbeitung gleichstellungspolitischer Aktivitäten auf allen Ebenen in Bund, Ländern und Kommunen verpflichtend und ressortübergreifend zu verankern
  • Studien, auch qualitativer Art, zur Situation der von intersektionalen Formen der Diskriminierung betroffenen Frauen* zu fördern und die Öffentlichkeit für diese Diskriminierungsformen zu sensibilisieren
  • die personellen und finanziellen Ressourcen sowie die Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu erhöhen und Bundesländer, die noch keine eigenen Antidiskriminierungsgesetze haben, zu veranlassen, diese zu erlassen
  • bessere Gewaltschutzkonzepte in den Unterkünften für Gruppen mit erhöhtem wiederholtem Gewaltrisiko, bspw. Frauen* oder Betroffene von Menschenhandel, sowie Gewaltschutzkoordinator*innen und ein effektives Beschwerdemanagement vor Ort
  • besonders vulnerable Gruppen frühzeitig zu identifizieren und vorrangig und schnell in geschützten Räumen unterzubringen
  • Frauen* als „soziale Gruppe“ im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention einzustufen, damit sie im Fall von geschlechtsspezifischer Verfolgung und Gewalt (bspw. Menschenhandel, FGM, Zwangsverheiratung) Schutz finden
  • § 87 Aufenthaltsgesetz zur Übermittlungspflicht abzuschaffen