Repräsentanz von Frauen* als Grundvoraussetzung für demokratische Teilhabe
Im Oktober 2024 hat der CEDAW-Ausschuss der Vereinten Nationen seine 40. Empfehlung zur Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention veröffentlicht. Sie legt fest, wie die Vertragsstaaten die gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen* und Mädchen* sicherstellen sollen.
Der CEDAW-Ausschuss ist das Gremium der Vereinten Nationen, das die Umsetzung der Frauenrechtskonvention CEDAW überwacht. Neben dem Staatenberichtsverfahren gibt er regelmäßig sogenannte Allgemeine Empfehlungen (engl. General Recommendations) heraus, die die Bestimmungen aus der Konvention konkretisieren.
In seiner aktuellen Empfehlung betont der Ausschuss eindringlich: Gerade in Zeiten multipler Krisen und Herausforderungen, rasanter technologischer Entwicklungen und globaler Umbrüche braucht es mehr Gleichstellung – nicht weniger. Denn Gleichstellung ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für freie und stabile Gesellschaften und verdient daher adäquate Aufmerksamkeit. Jede Krise lässt sich besser durch diverse Gruppen lösen, die verschiedene Perspektiven und Erfahrungen einen.
Die neue Bundesregierung steht nun vor der Aufgabe, strukturelle Diskriminierung abzubauen, Frauenrechte in Bildung, Wirtschaft und Außenpolitik zu verankern und konsequent gegen geschlechtsspezifische Hassrede vorzugehen sowie eine paritätische Verteilung in allen Arbeitsbereichen gesetzlich zu verankern. Sie hat die Gelegenheit, politische Teilhabe von Frauen* und Mädchen* auch strukturell umzusetzen und damit mittel- sowie langfristig eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Der Ausschuss zeigt sich besorgt über weltweit schrumpfende zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume und betont die wichtige Rolle einer starken Zivilgesellschaft. Für die politische Teilhabe von Frauen* und Mädchen* sei die finanzielle Unterstützung von Frauen- und Mädchenorganisationen in der Zivilgesellschaft sowie ihre substanzielle Beteiligung an politischen Prozessen essenziell. Die Botschaft ist klar: Nicht trotz, sondern gerade aufgrund der angespannten politischen Situation braucht es auch in der kommenden Legislatur genügend Mittel für Frauenrechtsorganisationen!
Auch die Rolle staatlicher Frauen- und Gleichstellungsgremien wird in der Empfehlung betont. Diese sind notwendig, um Geschlechtergerechtigkeit zu fördern sowie Diskriminierung und Stereotype auf allen Ebenen zu überwinden.
In Führungspositionen sowie in allen politischen Entscheidungsgremien empfiehlt der Ausschuss Maßnahmen für Parität. Dabei macht er explizit: Sollte es bislang gesetzliche Hürden für Paritätsregelungen geben, müssen diese angepasst werden! Um die UN-Frauenrechtskonvention umzusetzen, ist es also auch in Deutschland höchste Zeit für ein Paritätsgesetz, selbst wenn dafür eine Änderung des Grundgesetzes nötig wäre. Dass zeitweilige Sondermaßnahmen, wie bspw. Frauenquoten, keinen diskriminierenden Charakter haben, sondern im Gegenteil als Ausgleich bestehender Benachteiligung fungieren, ist bereits im Konventionstext festgehalten. Entsprechende Regelungen im Wahlrecht würden die Gleichberechtigung weiter fördern, demokratisch adäquate Repräsentation und damit Legitimität sicherstellen, eine vielfältigere Politikgestaltung gewährleisten sowie als Vorbildfunktion für notwendigen gesellschaftlichen Wandel gelten.
Ein weiteres Kernthema der Empfehlung ist die feministische Außen- und Sicherheitspolitik: Geschlechtergerechte Strukturen müssen sich auch in der internationalen Zusammenarbeit widerspiegeln – sei es durch wirtschaftliche Gleichstellung, den Schutz sexueller und reproduktiver Rechte oder eine paritätische Besetzung diplomatischer Ämter. Die neue Bundesregierung sollte sich diese Empfehlungen zu Herzen nehmen und die in der vergangenen Legislaturperiode eingeführte feministische Außen- und Entwicklungspolitik für eine friedlichere, gerechtere und stabilere Welt fortsetzen.
Besonders alarmierend ist die zunehmende Hassrede und digitale Gewalt gegen Frauen* und Mädchen*, die deren politische Teilhabe massiv einschränkt und somit eine direkte Bedrohung für die Demokratie darstellt. Das erkennt der Ausschuss an, indem er legislative und sonstige Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Hassrede anmahnt. Auch Social-Media-Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, gegen geschlechtsspezifische Angriffe vorzugehen.
Nicht zuletzt betont der Ausschuss die Bedeutung einer intersektionalen Geschlechterperspektive in allen politischen Bereichen. Dazu gehören die Gewährleistung von Nichtdiskriminierung und substanzieller Gleichstellung, das Bekämpfen von Geschlechter-Stereotypen sowie die Repräsentation von Frauen* in ihrer ganzen Vielfalt. Der Ausschuss betont, wie unabdingbar es ist, die komplette Bandbreite der Gesellschaft in der politischen Entscheidungsfindung widerzuspiegeln.
Die detaillierten Inhalte der aktuellen Empfehlung Nr. 40 haben wir hier zusammengefasst:
Roadmap zur Parität
In der Einleitung stellt der Ausschuss fest, dass Frauen* das Recht auf gleichberechtigte und inklusive Teilhabe an allen Entscheidungssystemen haben, doch dass dieses Recht trotz Fortschritten in den Vertragsstaaten weiterhin nicht vollständig respektiert wird. Dies behindert die Umsetzung anderer Rechte der CEDAW-Konvention und erschwert die Bewältigung globaler Herausforderungen. Die GR soll daher einen Leitfaden bieten, um systematische Veränderungen herbeizuführen und Parität (50:50) in Entscheidungsprozessen aller Sektoren – politisch, wirtschaftlich, privat und digital – zu erreichen. Dabei werden gesetzliche, politische und programmatische Maßnahmen definiert. Zudem betont die GR die Bedeutung der Jugend und zukünftiger Generationen für eine friedliche und gleichberechtigte Gesellschaft.
Gleichberechtigte und inklusive Repräsentation von Frauen in Entscheidungssystemen als Game-Changing Lösung
Der Ausschuss stellt fest, dass immer mehr dringende und tiefgreifende Herausforderungen im Zusammenhang mit Frieden, politischer Stabilität, wirtschaftlicher Entwicklung, Klimawandel, Künstlicher Intelligenz und der Nachhaltigkeit des multilateralen Systems die Umsetzung der Konvention beeinflussen und Gesellschaften verändern. Um diese Komplexität zu bewältigen, ist kollektive Intelligenz erforderlich, indem Parität in Entscheidungsprozessen verankert wird. Ein „Paritätsaufschwung“ auf allen Ebenen ist nötig, um gemeinsame Entscheidungen zu ermöglichen und innovative Lösungen für widerstandsfähige Gesellschaften zu entwickeln.
Allgemeine Verpflichtungen zur Erreichung einer gleichberechtigten und umfassenden Vertretung von Frauen in Entscheidungsfindungssystemen
Hierzu gehören die Gewährleistung von Nichtdiskriminierung und substanzieller Gleichstellung, die Intersektionalität und Vielfalt von Frauen*, das Auflösen von Gender-Stereotypen sowie die Repräsentation von Frauen* in ihrer ganzen Vielfalt unter gleichen Bedingungen wie Männer*. Des Weiteren ist die Erziehung zu Eigenverantwortung und Führung relevant als auch die Freiheit von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen* und Belästigung sowie die Vertretung von Frauenrechtsorganisationen in Entscheidungsprozessen.
Spezifische Verpflichtungen zur Erreichung einer gleichberechtigten und integrativen Vertretung von Frauen in Entscheidungsfindungssystemen
Dazu gehört unter anderem die Parität in politischen und öffentlichen Entscheidungsprozessen wie z.B. das Wahlrecht, das Recht für Wahlen und Ämter zu kandidieren, oder an politischen oder nichtstaatlichen Organisationen teilzunehmen.
Parität in internationalen Entscheidungsprozessen sollte u.a. das Recht, Regierungen auf internationaler Ebene zu vertreten, Parität in der Friedens- und Sicherheitsentscheidung und Parität in wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen, umfassen.
Ebenso im privaten Bereich gelten Frauenrechte als Voraussetzung für den Zugang zu Entscheidungsprozessen. Zudem bestehen eine Verantwortlichkeit und Überwachung der Verpflichtungen der Staaten zur Erreichung von Paritätssystemen sowie Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft zur Sicherstellung von Paritätssystemen.
7 Pfeiler der gleichberechtigten und integrativen Vertretung von Frauen* in Entscheidungsfindungssystemen
Laut Ausschuss ist das Patriarchat ein tief verwurzeltes Machtgefüge, das Frauen* in die private und Männer* in die öffentliche Sphäre drängt. In extremer Form manifestierte es sich als institutionalisiertes System der Unterdrückung, oft als „Gender-Apartheid“ bezeichnet.
Um dem zu begegnen, definiert der Ausschuss sieben Säulen für eine gleichberechtigte Entscheidungsfindung:
(1) 50:50-Parität als Norm: Wirkliche Gleichberechtigung erfordert eine 50:50-Parität, die dauerhaft die Interessen beider Geschlechter berücksichtigt und bestehende Machtstrukturen aufbricht.
(2) Führung junger Menschen durch Parität: Geschlechtsspezifische Ungleichheiten zwischen jungen Frauen* und Männern* erschweren ihren Beitrag zur Gestaltung einer gerechteren Welt. Ein transformativer Ansatz ist nötig, um Parität in Entscheidungsprozessen für heutige und zukünftige Generationen zu erreichen.
(3) Intersektionalität und Vielfalt: Die Konvention fordert Staaten auf, Diskriminierung von Frauen* in all ihren Formen zu bekämpfen, einschließlich neu entstehender Diskriminierungsformen. Um inklusive Entscheidungsfindungssysteme zu gewährleisten, müssen Frauen* in ihrer ganzen Vielfalt in der Politik führend beteiligt sein.
(4) Ganzheitlicher Ansatz: Entscheidungsfindung erstreckt sich über verschiedene miteinander verbundene Bereiche. Artikel 7 der Konvention garantiert diskriminierungsfreie Beteiligung und umfasst die Beteiligung von Frauen* in allen Bereichen des politischen und öffentlichen Lebens. Artikel 8 garantiert zudem ihr Recht, Regierungen international zu vertreten und an internationalen Organisationen mitzuwirken. Die Beteiligung von Frauen ist auch in neu entstehenden Feldern, wie bspw. Künstliche Intelligenz, entscheidend.
(5) Gleichberechtigte Machtverteilung: Da eine rein symbolische Beteiligung unzureichend ist, müssen Frauen* auf allen Ebenen gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse eingebunden sein. Gleichberechtigte und inklusive Repräsentation bedeutet, dass alle politischen Ämter für Frauen* und Männer* zugänglich sind sowie Themenfelder gleichwertig behandelt werden. Zudem ist gemeint, dass die stereotypischen Rollenmuster und Normen sich wandeln sollten hin zu gleichen Voraussetzungen für Frauen* und Männer*, Führungspositionen zu übernehmen.
(6) Strukturelle Transformation: Die Präambel sowie die Artikel 5 und 11.2 (c) der Konvention fordern den Wandel stereotyper Geschlechterrollen in Gesellschaft und Familie sowie eine Neubewertung von Arbeit, um echte Gleichstellung zu erreichen. Ein solcher Wandel erfordert eine strukturelle Neuausrichtung von Geschlechterrollen in öffentlichen und privaten Bereichen. Das Ziel ist ein Umfeld, in dem Frauen* wie Männer* berufliche und familiäre Pflichten in Einklang bringen können – etwa durch eine neue Arbeitsorganisation sowie eine veränderte Bewertung von Produktivität, Monetarisierung und der Fürsorgeökonomie.
(7) Einbindung der Zivilgesellschaft: Der Ausschuss betrachtet die gleichberechtigte Vertretung von Frauen* in der Zivilgesellschaft, insbesondere die Rolle von Frauenrechtsorganisationen und Frauenrechtsverteidigerinnen, als essenziell für die geschlechtergerechte Gestaltung von Entscheidungsprozessen. Staaten sollten Hindernisse abbauen, den schrumpfenden zivilen Handlungsspielraum umkehren, Rechte schützen und finanzielle sowie kapazitätsfördernde Unterstützung für Frauen*- und Mädchenorganisationen bereitstellen.