Verantwortung für Deutschland – Verantwortung für Frauenrechte? Wie es um die geplante Gleichstellungspolitik im Koalitionsvertrag steht
Am 9. April hat die künftige Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Was planen Union und SPD zum Schutz der Frauenrechte und zur Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW?
Union und SPD hatten sich einen straffen Zeitplan gesetzt und haben tatsächlich gut zwei Wochen nach der Wahl ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Nun müssen die zuständigen Gremien von CDU, CSU und SPD zustimmen – bei der SPD bedeutet das einen Mitgliederentscheid, der noch bis zum 29. April laufen soll.
Auf knapp 150 Seiten wird ausgeführt, wie die nächsten vier Jahre politisch gestaltet werden sollen – teils äußerst vage, teils sehr konkret. Dabei bekennt sich die zukünftige Bundesregierung explizit dazu, die UN-Frauenrechtskonvention „konsequent umzusetzen und weiterzuentwickeln“ (Zeile 4116). Doch was bedeutet das konkret?
Schutz vor Diskriminierung
Um Diskriminierung zu bekämpfen, soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) reformiert, der Diskriminierungsschutz „gestärkt und verbessert“ werden (2954). Doch wie diese Reform konkret aussehen soll, bleibt offen. Welche Maßnahmen sinnvoll wären, um einen umfassenden Antidiskriminierungsschutz zu gewährleisten, hat beispielsweise das Bündnis AGG-Reform jetzt! festgehalten. Unter anderem fordert es eine Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Auch die CEDAW-Allianz Deutschland hält eine Erhöhung der personellen und finanziellen Ressourcen sowie der Befugnisse der ADS für notwendig, um den in der Frauenrechtskonvention verankerten Schutz vor Diskriminierung umzusetzen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu bloß: „Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle wird fortgesetzt.“ (3311)
Gleichstellung gibt es nur mit Beteiligung
Gleichstellung zwischen Frauen* und Männern* bezeichnet die künftige Bundesregierung als „zentrales Anliegen unserer gesamten Regierungsarbeit.“ (45) Damit formuliert sie einen hohen Anspruch, dem der restliche Text leider nicht gerecht wird. Zwar bekennt sie sich dazu, die Gleichstellungsstrategie weiterzuführen, hinterlegt dies aber weder mit konkreten Strukturen noch mit einem Finanzierungsrahmen zur Umsetzung. Für eine konsequente Umsetzung der Frauenrechtskonvention bräuchte es strukturelle Maßnahmen wie Gender Budgeting und Gender Mainstreaming, das hat der CEDAW-Ausschuss zuletzt 2023 betont. Im Koalitionsvertrag ist die Rede davon, „bereits in der Frühphase von Gesetzgebungsverfahren“ (1869) Praxischecks durchzuführen sowie Betroffene und Expert*innen anzuhören. Zudem soll die Einführung eines „ziel- und wirkungsorientierten Haushaltswesens“ (1864) geprüft werden. Doch bei beiden Vorhaben fehlt die Geschlechterperspektive. Gesetze und auch Haushaltspolitik haben nachweislich unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen* und Männer*, auch wenn das gar nicht beabsichtigt ist. Um sicherzustellen, dass Frauen* nicht benachteiligt werden, müssen diese Auswirkungen frühzeitig untersucht und ggf. gegengesteuert werden.
Auch zur politischen Beteiligung von Frauen*, zu der Deutschland durch die UN-Frauenrechtskonvention verpflichtet ist, werden keine konkreten Maßnahmen aufgeführt. Eine Wahlrechtskommission soll lediglich prüfen, „wie die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen im Parlament gewährleistet werden kann“ (4517). Konkrete Ideen oder auch nur eine Willensbekundung zur paritätischen Teilhabe an politischen Prozessen fehlt. Dabei wäre das angesichts des gesunkenen Frauenanteils im Bundestag umso wichtiger.
Wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen* sichern und Sorgearbeit fair teilen
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen* zu steigern wird als wichtige Maßnahme zur Fachkräftesicherung angeführt. Dafür wollen Union und SPD unbezahlte Arbeit fairer verteilen (3231). Unter anderem soll die Kinderbetreuungssituation verbessert, Freistellungsansprüche flexibler gestaltet und das Elterngeld erhöht werden. Letzteres soll zu „mehr Väterbeteiligung in alleiniger Verantwortung“ (3139) führen, indem Lohnersatzraten erhöht und Anzahl und Aufteilung der Bezugsmonate „verändert“ werden. Das ist zwar ein wichtiger Ansatz, wie es konkret ausgestaltet werden soll, wird allerdings nicht erläutert. Geprüft werden soll außerdem ein „jährliches Familienbudget für Alltagshelfer für Familien“ (409) sowie die Einführung eines Familienpflegegeldes (3295).
Zudem plant die Koalition die Möglichkeit einer wöchentlichen, statt einer täglichen Höchstarbeitszeit zu schaffen „im Sinne einer besseren Vereinbarung von Familie und Beruf“ (560). Doch das Aufweichen von arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen ist keine sinnvolle Maßnahme, um Sorgearbeit gerechter zu verteilen. Stattdessen müssten Arbeitgeber*innen stärker für familienfreundliche Arbeitsbedingungen in die Pflicht genommen und kollektivrechtliche und gesetzliche Optionen für eine lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung geschaffen werden.
Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie soll „bürokratiearm“ (3227) in nationales Recht umgesetzt werden, eine Kommission soll bis Ende 2025 Vorschläge dazu machen. So soll der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bis 2030 umgesetzt werden. Der djb kritisiert diesen Zeitplan sehr deutlich als Verletzung europäischen Rechts, da die EU-Richtlinie bis Juni 2026 in deutsches Recht zu übertragen ist – was mit den vorgestellten Vorhaben absehbar nicht einzuhalten sei. Ein Bundestariftreuegesetz soll die Tarifbindung bei der öffentlichen Auftragsvergabe erhöhen, zudem soll sich die unabhängige Mindestlohnkommission zukünftig neben der Tarifentwicklung „auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten“ (550) orientieren. Ziel ist ein Mindestlohn von 15 Euro bis 2026.
Gewaltschutz braucht mehr als Strafrechtsverschärfungen
Auch Gewalt gegen Frauen* will die neue Bundesregierung wirksam bekämpfen. Dazu schlägt sie vor allem rechtliche Maßnahmen vor. So soll“ ein neues Qualifikationsmerkmal bei den Tatbeständen von Mord“ (2919) an besonders verletzlichen Personen eingeführt werden. Zudem soll der Strafrahmen bei Nachstellungen, Gruppenvergewaltigungen sowie Zuwiderhandlungen gegen das Gewaltschutzgesetz verschärft werden, für verbale Belästigung soll das zumindest geprüft werden. Die Verwendung von GPS-Trackern soll in den Stalking-Paragraphen aufgenommen und zukünftig nur mit Einverständnis der Gerätebesitzer*innen möglich sein. Zudem sollen Fußfesseln und verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter häuslicher Gewalt eingeführt werden (2923). Ein digitales Gewaltschutzgesetz soll die Rechtsstellung Betroffener verbessern und „die Sperrung auch anonymer Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten“ (2938) ermöglichen. Das sind zwar sinnvolle Maßnahmen, doch um das Menschenrecht auf Gewaltfreiheit umzusetzen, braucht es mehr als Strafrechtsverschärfungen.
Zwar bekennen sich Union und SPD zur Umsetzung der Istanbul-Konvention und der EU-Gewaltschutzstrategie und wollen die Gewaltschutzstrategie zu einem Nationalen Aktionsplan weiterentwickeln (3271). Präventions-, Aufklärungs- und Täterarbeit soll – genauso wie die Koordinierungsstelle Geschlechtsspezifische Gewalt – gestärkt werden, was zu begrüßen ist. Doch leider finden sich keine weiteren Maßnahmen, um den dringend notwendigen Ausbau der Schutz- und Unterstützungsstrukturen voranzutreiben. Um den Vorgaben der Istanbul-Konvention gerecht zu werden, fehlen bundesweit immer noch Tausende Frauenhausplätze. Das wird im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt.
Menschenhandel wird leider nur in Zusammenhang mit der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes erwähnt. Was fehlt, sind Ansätze, um Betroffene in verschiedenen Sektoren besser zu identifizieren und ihnen Zugang zu Schutz und Unterstützung zu ermöglichen. Weibliche Genitalverstümmelung wird gar nicht erwähnt, obwohl in Deutschland zunehmend junge Frauen* und Mädchen* davon betroffen sind.
Positiv zu bewerten ist hingegen, dass der Koalitionsvertrag festschreibt, häusliche Gewalt sei „zulasten des Gewalttäters im Sorge- und Umgangsrecht maßgeblich zu berücksichtigen“ (2906). Auch das Ziel, geflüchtete Frauen* besser vor Gewalt zu schützen, und daher „Erleichterungen bei Residenzpflicht und Wohnsitzauflage“ (3067) ist zu begrüßen. Um geflüchtete Frauen* vor Gewalt zu schützen, braucht es allerdings mehr: bessere Gewaltschutzkonzepte in den Unterkünften, mehr dezentrale Unterbringung sowie die Abschaffung von §87 AufenthG zur Übermittlungspflicht, um den angstfreien Zugang zu Schutz und Unterstützung sicherzustellen. Die CEDAW-Allianz Deutschland fordert einen menschenrechtskonformen Umgang mit Geflüchteten als Priorität der Innenpolitik!
Geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung gibt es nicht ohne reproduktive Rechte
Im Bereich Gesundheit bekennt sich die Koalition zu einem geschlechts- und diversitätssensiblen Ansatz in Vorsorge, Behandlung und Forschung (3542). Zudem soll „Forschung zu Frauengesundheit“ (2537) gefördert werden. Das sind sehr wichtige und längst überfällige Maßnahmen, um eine diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Leider sind die Pläne im Feld der reproduktiven Gesundheit nicht so ambitioniert. Lediglich geprüft werden soll die „kostenlosen Abgabe von ärztlich verordneten Verhütungsmitteln für Frauen um weitere zwei Jahre bis zum 24. Lebensjahr“ (3261). Zwar will die künftige Bundesregierung den Zugang zu Gynäkologie, Geburtshilfe und Hebammenversorgung flächendeckend sichern (3546), aber wie genau dieser Anspruch verwirklicht werden soll, wird nicht ausgeführt. Gewalt in der Geburtshilfe wird als Problem gar nicht erst erwähnt.
Auch beim Thema Schwangerschaftsabbruch bleibt der Koalitionsvertrag hinter dem Anspruch zurück, die UN-Frauenrechtskonvention konsequent umzusetzen. Union und SPD scheinen die prekäre Versorgungslage anzuerkennen, denn sie schreiben, dass sie „den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen“ (3256) wollen. Doch außer der „Stärkung“ der medizinischen Weiterbildung werden keine Maßnahmen genannt, um das zu erreichen. Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen soll „erweitert“ werden, genauer ausgeführt wird aber auch das nicht. Um die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch an internationale Menschenrechtsabkommen anzupassen, reicht das nicht! Wir fordern weiterhin, die Kriminalisierung von Frauen* und Ärzt*innen zu beenden und die Pflichtberatung sowie die 3-tägige Wartefrist abzuschaffen.
Internationaler Verantwortung gerecht werden
Mit Blick auf ihre globale Verantwortung verspricht die Koalition, sich „weiterhin weltweit für die Bekämpfung von Armut, Hunger und Ungleichheit“ (3986) und „für die Erreichung der internationalen Nachhaltigkeitsziele sowie des Pariser Klimaschutzabkommens einzusetzen“ (3988). Um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, sollen Treibhausgase wie CO2 reduziert und der Emissionshandel vor allem auf europäischer Ebene vorangetrieben werden. Erneuerbare Energien sollen ausgebaut werden, allerdings ist weiterhin von einer „Kraftwerksstrategie“ (947) die Rede, ohne das weiter auszuführen. Auch zur internationalen Klimafinanzierung wird nichts weiter festgehalten, als das Deutschland weiterhin einen „fairen Anteil“ (4268) bereitstellen wird. Zudem ist von einem „ambitionierten Post-Agenda-2030-Rahmenwerk“ (ebd.) die Rede, ebenfalls ohne Details. Frauen* und Mädchen*, sowie ihre Rechte und ihr Zugang zu Mitteln der internationalen Klimafinanzierung werden in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnt.
Auch die von der Ampel-Regierung eingeführte feministische Außen- und Entwicklungspolitik findet keinerlei Erwähnung mehr. Stattdessen soll die Entwicklungszusammenarbeit und auch die Rüstungsexportpolitik stärker an nationalen Interessen ausgerichtet werden (4194). Die UN-Resolution 1325 Frauen, Frieden und Sicherheit soll konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden. Zwar wird die Förderung von Frauen und Mädchen und insbesondere die „Förderung des Rechts auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ (4238) explizit als Ziel der Entwicklungszusammenarbeit erwähnt, doch gleichzeitig soll sie strategisch vor allem zur Migrationssteuerung (4252) und zur Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen (4235) eingesetzt werden. Die öffentlichen Gelder des Bundes zur Entwicklungszusammenarbeit sollen reduziert werden, um wie viel ist nicht konkret festgehalten.
Das deutsche Lieferkettengesetz soll abgeschafft, und durch ein durch ein „Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt“ (1911) ersetzt werden. Das wäre sowieso nötig geworden, da die Europäische Richtlinie mit ihren derzeitigen Vorgaben über die Schutzbestimmungen des deutschen Gesetzes hinaus geht. Doch das EU-Gesetz soll nochmal reformiert und deutlich abgeschwächt werden. Dafür hatte sich insbesondere Deutschland wiederholt eingesetzt. Wie die Bundesregierung also in Zukunft Menschenrechte entlang der Wertschöpfungsketten schützen wird, bleibt ungewiss. Dass auch die UN-Frauenrechtskonvention Unternehmen dazu verpflichtet, menschenrechtliche Sorgfalt walten zu lassen, daran hatte der CEDAW-Ausschuss Deutschland erst 2023 noch einmal erinnert. Er forderte die Verschärfung des deutschen Lieferkettengesetzes, anstatt seiner Abschwächung.
Wir brauchen mehr!
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Vorhaben der Koalition aus Union und SPD nicht ausreichen, um ihrem Versprechen, die UN-Frauenrechtskonvention konsequent umzusetzen, gerecht zu werden. Zwar sind viele wichtige Ziele und Vorhaben dabei, doch bleiben auch diese guten Ansätze oft zu unkonkret. Um Frauenrechte in Deutschland und weltweit zu schützen und zu stärken, brauchen wir mehr! Die derzeitigen Krisen und Herausforderungen dürfen nicht als Begründung dienen, eine weniger ambitionierte Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik zu verfolgen. Gerade in unsicheren Zeiten braucht es den aktiven Schutz der Frauen- und Menschenrechte!