Gewaltschutz als Menschenrecht im digitalen Zeitalter
Die Menschenrechtsabkommen angesichts technologischer Entwicklungen bestmöglich nutzen
Am 8. September 2025 fand eine gemeinsame digitale Fachveranstaltung der CEDAW-Allianz Deutschland und des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) statt. Unter dem Titel „Gewaltschutz als Menschenrecht im digitalen Zeitalter – die Menschenrechtsabkommen angesichts technologischer Entwicklungen bestmöglich nutzen“ diskutierten Expert*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über aktuelle Herausforderungen und Handlungsbedarfe im Gewaltschutz, die sich aus der zunehmenden Nutzung neuer Technologien ergeben.
Wie kann das Menschenrecht auf Gewaltschutz angesichts dieser rasanten Entwicklungen wirksam umgesetzt werden? Welche Rolle spielen internationale Menschenrechte beim Schutz vor digitaler Gewalt? Über 250 Teilnehmende waren zugeschaltet, um diesen Fragen nachzugehen.
In ihren einleitenden Worten wies Katja Grieger (Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bff, Mitglied der CEDAW-Allianz) darauf hin, dass geschlechtsspezifische Gewaltformen sehr vielfältig sind: „Es geht um Gewalt, in Partnerschaften, Ex-Partnerschaften, um Stalking, um sexualisierte Gewalt und vieles mehr.“ Darüber hinaus merkte sie an, dass mittlerweile fast in jeder Beratung mindestens eine digitale Komponente Teil der Gewaltanwendung ist. Sie betonte, dass die aktuellen Interventionsmöglichkeiten in solchen Fällen leider noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen sind. Und genau hier setzt die CEDAW-Allianz u.a. an, denn sie fordert adäquate Maßnahmen, um Frauen und Mädchen auch im digitalen Raum besser zu schützen.
Anschließend unterstrich Frank Schwabe, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV), die Dringlichkeit des Themas. Digitale Gewalt in Form von Hassrede und Beleidigungen in Sozialen Netzwerken verändere den politische Diskurs fundamental. Weiter sei fast jede zweite Frau von sexualisierter Gewalt online betroffen. „Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass digitale Gewalt nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern sie ist im Zusammenhang zu sehen mit häuslicher und anderer, auch körperlicher, Gewalt.“ Da die Digitalisierung den Diskurs fundamental verändert habe, müssten auch unsere Gesetze und Schutzmechanismen Schritt halten. Hier führte er an, dass das BMJV gerade an einem Gesetzesentwurf für digitale Gewalt arbeite. Insgesamt ist die Bundesregierung allerdings auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft angewiesen.
Prof. Dr. Beate Rudolf (Direktorin des DIMR) machte in ihrer Keynote deutlich, dass die bestehenden Menschenrechtskonventionen – von der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW über die Istanbul-Konvention bis hin zur Kinderrechts- und Behindertenrechtskonvention – rechtliche Verpflichtungen zum Schutz vor digitaler Gewalt enthalten. Zugleich warnte sie, dass neue Technologien wie bspw. Ortungsprogramme und der Einsatz von KI neue Formen der Gewalt hervorbringen, worauf die Instrumente der Konventionen bislang nur unzureichend vorbereitet sind.
In der anschließenden Paneldiskussion beleuchteten die Expertinnen unterschiedliche Perspektiven:
- Müşerref Tanriverdi (Beobachtungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt beim DIMR) stellte Zahlen aus dem Monitor Gewalt gegen Frauen aus dem Jahr 2024 vor: 2023 waren 150.000 Frauen und Mädchen betroffen – über 400 pro Tag. Doch das Strafrecht habe auf digitale Gewalt noch keine adäquaten Antworten.
- Jutta Croll (Stiftung Digitale Chancen & Netzwerk Kinderrechte Deutschland) hob die Bedeutung der Kinderrechtskonvention und neuer Schutzziele im Jugendschutzgesetz hervor. Konkret erläuterte sie u.a. Art. 19 (Schutz vor Gewalt) und Art. 34 (Schutz vor sexuellem Missbrauch) der Konvention.
- Martina Puschke (Weibernetz e.V.) betonte die Notwendigkeit, die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent einzubeziehen, um die Rechte von Frauen mit Behinderungen zu sichern, dann zur gesellschaftlichen Teilhabe gehöre auch die digitale Teilhabe, sagt sie. Leider beobachtet sie, dass ableistischer Hass im Netz zunimmt.
- Franziska Benning (HateAid) kritisierte die Lücken bei der Umsetzung bestehender Regelungen wie des EU-Digital Services Act und erläuterte, dass es gute Regeln gäbe, es jedoch oft an der Durchsetzung scheitere. Des Weiteren würden die Meldeinstrumente der Plattformen schlicht nicht funktionieren. Einer Studie von HateAid und der TU München zufolge würden insbesondere politisch aktive Frauen aufgrund von digitaler Gewalt ihre Kommunikation anpassen oder sogar daran denken, ihr Engagement einzuschränken oder zu beenden.
Auch aus dem Publikum kamen wichtige Impulse: So wurde u. a. auf die Rolle bestehender Fachberatungsstellen, die Bedeutung intersektionaler Perspektiven sowie den engen Zusammenhang zwischen digitaler und physischer Gewalt hingewiesen.
Die Veranstaltung machte deutlich: Digitaler Gewaltschutz ist ein zentrales Menschenrechtsthema. Um Frauen und Mädchen, genauso wie andere marginalisierte Gruppen, wirksam zu schützen, braucht es verbindliche Maßnahmen, eine bessere Umsetzung bestehender Gesetze sowie eine stärkere Zusammenarbeit von Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Moderatorin Monika Remé (Deutscher Frauenrat e.V.) betonte zum Schluss, dass die Menschenrechtskonventionen ermutigend sind, weil sie uns auch im digitalen Raum unverändert Rechte und Schutzansprüche geben und damit eine Grundlage für wirksame Verbesserungen im digitalen Gewaltschutz bilden.